Finnland in der NATO
IIC Berlin

Laut den Beitrittsprotokollen der NATO müssen alle 30 Mitgliedsstaaten die Mitgliedschaft neuer Kandidatenländer akzeptieren. Nachdem das türkische Parlament am späten Donnerstagabend seine Zustimmung zur Mitgliedschaft Finnlands in der NATO bekannt gegeben hatte, richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf die Auswirkungen, die die Mitgliedschaft auf die gesamte NATO und ihre Beziehungen mit Russland haben wird.

 

Finnland

bewahrte während der Jahrzehnte des Kalten Krieges bis 1992 eine Art Gleichgewicht in seinen Beziehungen zwischen West und Ost. Zusammen mit seinem Nachbarn Schweden, das zwei Jahrhunderte Neutralität aufgibt, unterschrieb Finnland das Protokoll zum Beitritt in die NATO am 5. Juli 2022. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hatte Finnland seinen Antrag auf Mitgliedschaft Ende Mai 2022 gestellt. Nach nur zwei Monaten wurde die Mitgliedschaft bestätigt und beide nordischen Staaten wurden in den Nordatlantikpakt aufgenommen. Die Mitgliedschaft der zwei EU-Mitgliedsstaaten wurde sowohl extern als auch intern viel diskutiert und debattiert. Akzeptiert wurde der NATO-Beitritt Finnlands nichtsdestotrotz.

Jenseits der über 1.300 Kilometer langen Grenze zu Russland scheint es mehr als nur Ärger zu geben: Moskau, das in den vergangenen 20 Jahren gute Beziehungen zu Helsinki pflegte, steht vor einer neuen Ära, wenn es um die Beziehungen zu seinen nordischen Nachbarn geht. Die „gutnachbarschaftlichen“ Beziehungen mit Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark und Island, der sogenannten „Nordischen Gruppe“, veränderten sich nach dem Einmarsch in die Ukraine. Insbesondere im Hinblick auf die beschleunigte Akzeptanz der öffentlichen Meinung für eine stärkere Beteiligung des Westens, die Ukraine in ihrem Widerstand gegen die russische Invasion zu unterstützen, im Austausch für Ein- und Ausreisebeschränkungen russischer Bürger in ihr Land.

 

So verändern sich die Spielregeln

Auf geopolitischer Ebene stellt die Mitgliedschaft Finnlands seit einiger Zeit eine Wende dar. Mit dem Einmarsch in die Ukraine lieferten die Russen ein konsistentes Narrativ, dass die NATO versprach, nicht über Ostdeutschland hinaus zu expandieren. In einer wiederholten Rechtfertigung für mediale und halboffizielle Rhetorik schien der Krieg in der Ukraine die Dinge in ihre „normale“ Situation „zurückzubringen“, das heißt in das, was vor der NATO-Erweiterung war.

 

Mit Finnlands

Mitgliedschaft hat Russland zusätzlichen Landgrenzkontakt zur NATO und wird den Umfang der NATO-Kontrolle in den baltischen Gewässern erweitern. Dies spiegelt den Wunsch des Kreml wider, das westliche Bündnis zu zügeln. Dass Finnland (und erwartet Schweden) Teil der NATO ist, erhöht nicht nur seine Sicherheit, sondern auch die ganz Skandinaviens. Einige glauben jedoch, dass „Westler“ und Russen langfristig mit einer Zunahme des Sicherheitsdilemmas und Spannungen im Ostseeraum konfrontiert sein werden. In diesem Zusammenhang glaubt Jurgen Stone, Associate Professor in der Abteilung für Strategie- und Kriegsstudien an der dänischen Verteidigungsakademie, anhand einer kürzlich vom „Danish Centre for International Policies“ (DIES) veröffentlichten Studie, dass die Mitgliedschaft der beiden Länder (Finnland und Schweden) in der NATO „ein Sicherheitsdilemma für die gesamte baltische Region schaffen.“ wird. Stone erwartet, dass sich die baltische Region politisch aufheizen wird, „wenn Militäreinheiten weiter nach vorne rücken oder wenn die finnisch-russische Grenze unkoordinierte Bewegungen zwischen den beiden Seiten erlebt“. Generell scheinen der „Mangel an Vertrauen“ und das zunehmende Thematisieren einer Stationierung von Nuklearwaffen in Weißrussland als Eskalationsschritt Moskaus zu einer Erhöhung der Spannungen beizutragen.

Noch vor wenigen Jahren, insbesondere nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 und dem angespannten Verhältnis der beiden Parteien (Russland und Westen), war der baltische Raum eher ein russisches Operationsgebiet. Abgesehen von dänisch-schwedischen Versuchen, Russland daran zu hindern, seinen Luft- und Seeraum zu „verletzen“,hatte Russland keine ernsthafte Eingriffe von der NATO oder Skandinavien zu befürchten.

 

Mit Beginn der Invasion in die Ukraine und den darauffolgenden Sanktionen sowie der Beendigung der russischen Gasversorgung, wurde das Baltikum zu einer Art „NATO-Meer“, wie es die Presse und Analysen nennen. Russland, das mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt ist, wird Zeuge der Intensivierung des westlichen Militäraufbaus im Baltikum und sogar der Beschleunigung seiner Expansion in seinen kleinen Ländern.

Viele Presse- und Militärberichte deuten darauf hin, dass die russische Enklave Kaliningrad an der Ostsee zu einem weiteren Ziel für Spionage und Überwachung von Schiffen und der Atlantikmarine geworden ist. Dort stationierte „Iskander“-Raketen haben eine Reichweite von 500 Kilometern und sind dazu in der Lage Dänemark und Schweden leicht zu treffen.

 

Angesichts dieser angespannten Beziehungen und des mangelnden Vertrauens führt der Schritt der NATO-Erweiterung jedoch zu einer langen Grenze mit Finnland. An dieser Grenze versuchte die Sowjetunion eine Invasion, den so genannten Winterkrieg 1939, die mit katastrophalen Folgen für Finnland endete. Seit Juni 2022 hat sich das Verhältnis zwischen Russland und seinen Nachbarn in Skandinavien völlig verändert. Die skandinavischen Staaten folgen der Einstufung der NATO Russland als „wichtigste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten“ zu sehen.

Und obwohl NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigt, dass „das Bündnis defensiv ist“ und „nicht auf Aggression oder Feindseligkeit gegenüber Russland abzielt“, verhinderte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu im vergangenen Dezember die Aufnahme Finnlands in das Bündnis. Der Generalstabschef Waleri Gerassimow unterstrich dies, indem er die Schaffung eines „neuen Militärkorps in Karelien“ an der Grenze zu Finnland und eines weiteren in der Region Leningrad auf der Grundlage der Verteidigung von St. Petersburg forderte.

 

Was bringt die Mitgliedschaft in der NATO?

Was die westliche Seite betrifft, so erfordert die Mitgliedschaft Finnlands (und Schwedens) die Bereitstellung riesiger Verteidigungsbudgets. Nicht nur, weil die Grenzen zu Russland 1.340 km lang sein werden, sondern auch, um einen klaren Schutz für die Ostseeregion zu gewährleisten. Die amerikanische Seite hat mit Unterstützung Großbritanniens und Dänemarks damit begonnen, über ausgewiesene dänische Häfen wie Aarhus (im mittleren Westen) und Esrig, weiter westlich an der Nordsee, mehr militärische Macht einzusetzen. Insgesamt wird dadurch ein breites Operationsgebiet zur NATO hinzugefügt, wenn man Norwegen vom Norden bis zum dänischen Bornholm in der Ostsee mit einbezieht.

 

Man kann sagen, dass der Beitritt Finnlands und seine Integration in das westliche Verteidigungssystem dieses stärken werden. Helsinki verfügt über ein Militärsystem, das in Kriegszeiten sofort 280.000 Soldaten rekrutieren kann, außerdem sind etwa 800.000 in Waffen ausgebildet, und das Land verfügt über Schutzräume, die die gesamte Bevölkerung schützen können, sogar vor Atomschlägen. Auf operativer Ebene hat Finnland laut skandinavischen Verteidigungsspezialisten einen erheblichen Vorteil mit einem Straßennetz, das die russischen Eisenbahnen in Richtung Murmansk auf der Kola-Halbinsel bedrohen kann, wo ein Drittel der russischen Atomkraft stationiert ist.

 

Russland betrachtet mit großer Sorge die Ausweitung der westlichen Militärpräsenz in dieser Region, die einen wichtigen Stützpunkt für Atom-U-Boote umfasst, da sie nur etwa 180 Kilometer von Finnland entfernt ist, von der Grenze Nieden bis zum Stützpunkt Zapadnaya Litsa. Außerdem verschafft die Mitgliedschaft Schwedens in der NATO den Vorteil, den Hafen von Göteborg im Dreieck mit Finnland und Norwegen zu nutzen, da dieser die russische Atomregion Murmansk bedroht.

Laut den Anfang März veröffentlichten Umfragen befürworten etwa 80 Prozent der finnischen Bürger diese Mitgliedschaft. In Helsinki spielte die Ministerpräsidentin des Landes, Sanna Marin, eine maßgebliche Rolle dabei, ihre Bürger davon zu überzeugen, dass Finnland sich in einer eindeutigen Krise, verursacht durch den Krieg in der Ukraine, dem westlichen Verteidigungsbündnis zuwenden sollte.  Der Präsident des Landes, Sauli Niinisto, übernahm innenpolitisch eine wichtige Rolle. Er behielt gute Beziehungen zu russischen Politikern bei, während er sich in Ankara diplomatisch um die Zustimmung zur Mitgliedschaft bemühte.

 

 

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