Die Entstehung dieses Werks wurde durch ein Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen ermöglicht.

„Die Trennung“, 2020, Tempera Grassa auf Leinwand, 270 x 420 cm
Text: Nils Müller
Fotografie: Florian Rosier & Tom Wynne Gestaltung: Michiel Frielink
Druck: www.wirmachendruck.de
E-Mail: kuenstler@michielfrielink.de
Telefon: 015205890089
copyright 2020
Michiel Frielink

Die Stunde Null ist vorüber.
Eine neue Zeit läuft an.
Die Ersten, die das erkannt haben, sind die Brombeeren am Bahndamm. Die Zeit des Stutzens ist vorüber.

Warum wurden sie gestutzt, die Brombeeren, mit ihren eingesperrten Seelen?Sie standen im Verdacht, die Züge aufzuhalten, die Brombeeren am Bahndamm. Wer hat sie gestutzt, die Brombeeren, mit ihren eingesperrten Seelen?

Das Misstrauen war es.
Das Misstrauen hat die Brombeeren am Bahndamm eine Hecke weben gesehen. Sie webten, sie webten.
Das Misstrauen weiß nicht viel von den Brombeeren am Bahndamm.
Das Misstrauen ist mit dem Zorn verheiratet.
Der Zorn hat bis zur deutschen Stunde Null die Befehle gegeben.

Und doch haben die Brombeeren Dornen.
Dornen, die schützen, was ihnen im Mark der Ranken wohnt. Dornen, die stechen, was sie vermeintlich stechen will. Wer einmal sticht, dem traut man nicht.

Was da am deutschen Bahndamm klappert, ist die Schere, die trennt. Den schwarzen und den weißen Stoff trennt sie säuberlich vom roten Stoff der alten Fahnen.
Sie schneidet das Geschwür bis aufs gesunde Gewebe heraus.

Weh Dir, Schneiderin, hebst Du den schwarzen und den weißen Stoff auf!In seinem Gewebe lacht der Kasper.
Wasch sie nur, die alten Fahnen, spül sie gut, dann trenne sie.
Was Du trennst, verbindet sich.
Was Du leerst, das füllt sich auch.

Im Flügelschlag der Libelle wohnt die Ahnung eines Gewässers.
Europa holt das Wasser.
Bald wird es ein Gewitter geben.
Reinigung.
Der Schmutz aus den alten Fahnen wird zum Sediment, zum Gedächtnis unter der Haut des Wassers.

Zu Michiel Frielinks Malerei
Eine deutsche Ernte wird eingefahren. Eine Ernte überhaupt fährt Michiel Frielink ein, wenn er die Malerei der letzten Jahrhunderte untersucht und in sein Werk aufnimmt, was von romantischen Landschaften, Zuckerguss und Zärtlichkeit übrig bleibt, wenn der Mensch in den Krieg hineinge-boren wird.
Ein Soldat kniet auf dem Acker. Er scheint nachzudenken, sich zu erinnern. Den Kartoffeln wachsen lange Keime, sie strecken sich nach dem Licht, dem Leben. Wie eine Heilige erscheint uns eine Frau in rotem Kleid.
Hat die Erntezeit den Soldaten gefordert, viel zu früh, als Saatfrucht? Die Zeit des bangen Wartens hat sich in das Gesicht einer Mutter gegraben. Ihre Hand ist leer und scheint doch eine Nachricht gehalten zu haben.
Wo fängt die Identität an und wo hört sie auf, wenn der Frieden ein nie erlebter Ausnahmezustand ist?
Michiel Frielink lebt in ausreichendem Abstand zur Zeit der Weltkriege, um unbefangen von ihr erzählen zu können. Die dargestellten Schauplätze – Äcker, zur Bestellung umgepflügte Grünanla-gen, Ruinen – bilden ein sauberes, fast steriles und für die Zeit der Zerstörung ungewöhnlich geord-netes Bühnenbild. Auf das Wesentliche beschränkt wird uns das Grauen umso deutlicher gemacht.
Bei Michiel Frielink beginnt die Metamorphose der Stadt als Bestandsaufnahme des Krieges in den Eimern der Trümmerfrauen. Von einer gestohlenen Jugend berichten uns die bunten Som-merkleider der Trümmerfrauen, die einst den Frieden versüßten und nun – notgedrungen – zur skurrilen Arbeitskluft werden.

Ein Viehwaggon als Symbol für die industrielle Vernichtung von Menschen ist von einer höheren Macht durch Schnee zum Stillstand gebracht worden. Und doch liegt den drei Personen am Feuer nichts ferner, als zu glauben. Höchstens glauben sie an das Brot und das Fett in der Suppe.
Das Bild spaltet sich in die Angst vor erneuter Ge-fangenschaft und dem Freisein von jeder Angst auf. Was gewesen ist, kann an Grausamkeit nicht mehr übertroffen werden.
Dieses Frühstück im Freien erzählt auch von ei-nem Umherirren und Suchen nach einem Begriff, der die Heimat einst kleidete, bevor aus den Mas-sen die Brandstifter kamen.
Michiel Frielinks Bilder sind auch Mahnungen: Diese Kriege sind kein Schicksal. Wenn wir nicht aufpassen, können sie uns jederzeit wieder ereilen.
Michiel Frielink (geb. 1979 in Enschede, den Niederlanden) lebt und arbeitet in Leipzig.






