Wie sich die Uneinigkeit Europas auf die China-Politik auswirkt
IIC Berlin

Erst vor wenigen Tagen enthüllte die Zeitung Politico die Spaltung Europas in Bezug auf die Strategie der Europäischen Union im Umgang mit China.

Wie die Zeitung feststellte, gibt es mehrere europäische Länder, insbesondere Deutschland, mit prominenten europäischen Vertretern, darunter der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, die den konfrontativen Ansatz gegenüber China, den US-Präsident Joe Biden den Europäern zu diktieren versucht, völlig ablehnen.

Sie begründeten dies mit der Unabhängigkeit der europäischen Entscheidung und der Tatsache, dass Europa sich nicht der Politik Washingtons unterordnet. Außerdem verwiesen sie auf die Gefahr, dass Europa in einen geopolitischen Konflikt zwischen Peking und Washington hineingezogen wird, sowie auf die Bedeutung und den Umfang der Handelsbeziehungen zwischen Europa und China.

Die innereuropäische sowie die europäisch-amerikanische Spaltung in Bezug auf China ist nicht neu. Zwar sind die Europäer bestrebt, der von Präsident Biden geforderten so genannten Allianz der Demokratien beizutreten, die in erster Linie auf die Eindämmung Chinas ausgerichtet ist. Die Europäer, insbesondere die führenden Länder wie Frankreich, Deutschland und Italien, haben jedoch neben der Strategie, die sie gegenüber China verfolgen wollen, auch ihre eigenen Bedenken, die sich von den Vorbehalten und der Strategie Washingtons völlig unterscheiden.

 

Die Europäer sehen in China nur eine große, aber keine ernsthafte Bedrohung für die Autonomie ihrer wirtschaftlichen Entscheidungen und die liberalen westlichen Werte. Daher wollen sie diese Bedrohung allenfalls in gewissem Maße begrenzen, da sie einen scharfen Konfrontationskonflikt mit China gänzlich vermeiden, wie sie in der Vergangenheit wiederholt zum Ausdruck gebracht haben.

 

Auf der anderen Seite betrachtet Washington China als die größte geostrategische Herausforderung für die Hegemonie der USA im internationalen System.

Seit der Obama-Regierung wird ein kalter Krieg an mehreren Fronten geführt, um die chinesische Konkurrenz zu schwächen. Ein solcher Krieg könnte zu einem verheerenden geopolitischen und militärischen Konflikt führen, wenn das Tempo der Eskalation, insbesondere in Taiwan und im Südchinesischen Meer, anhält.

 

Das Neue an der europäisch-amerikanischen Spaltung, deren Merkmale die Zeitung “Politico“ klar erkennen lässt, ist jedoch die Tendenz der großen EU-Länder, nicht nur den konfrontativen Ansatz abzulehnen, sondern vielleicht auch die Vision hinsichtlich der chinesischen Bedrohung zu ändern. Das Gefährlichste ist der Verlust des europäischen Vertrauens in Washington, was sich in der Formulierung „Unabhängigkeit und Ablehnung der Unterordnung“ widerspiegelt.

Wir können sagen, dass die Verschärfung dieser Spaltung und ihr Abdriften in andere Dimensionen das Ergebnis der Erfahrungen ist, die Europa seit dem Ausbruch der Corona-Krise und den russisch-ukrainischen Krieg gemacht hat.

Abgesehen von den schweren wirtschaftlichen Verlusten, die Europa durch diese Krisen erlitt, wurde ihm auch die Zerbrechlichkeit des strategischen Bündnisses mit Washington vor Augen geführt. Das Bündnis konnte die Europäer weder vor den schwerwiegenden wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen der Corona-Pandemie bewahren noch die russische Invasion in der Ukraine verhindern, die für die Europäer die größte geopolitische Sicherheitsherausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg darstellt.

Infolgedessen erlebte Europa nicht nur eine Kluft der Spaltung und einen eklatanten Mangel an Solidarität, der die europäische Integration zunichte machte. Vielmehr verfolgte jedes europäische Land in seiner Außenpolitik einen eigenständigen, unabhängigen Ansatz, der seine Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen abseits von Washington und Brüssel sicherte.

Viele europäische Länder, wie z. B. Italien, fanden ihren Weg nach China, um ihren Bedarf an medizinischen Hilfsgütern zur Bekämpfung der Pandemie zu sichern. Auch Deutschland kündigte unmittelbar nach der russischen Invasion in der Ukraine ein sehr ehrgeiziges Aufrüstungsprogramm an, was eindeutig auf den Verlust des deutschen Vertrauens in die NATO, Brüssel und Washington hinweist. Außerdem verfolgt jedes europäische Land unter der Führung Berlins eine eigenständige Politik zur Sicherung seines Energiebedarfs, was die westlichen Sanktionen gegen Moskau fast zum Scheitern brachte.

Vor diesem Hintergrund lässt sich eindeutig feststellen, dass sich China als einziger Ausweg aus der Krise für Europa und für die Verwirklichung der Ziele jedes einzelnen europäischen Landes anbietet.

Die EU, insbesondere ihre großen Länder, müssen dringend ihre Handels- und Investitionsbeziehungen mit China vertiefen, um das Risiko einer Inflation und Rezession zu überwinden. Deutschland zum Beispiel konzentriert den Großteil seiner Auslandsinvestitionen in China und muss seine Wirtschaft ankurbeln, um das angekündigte Rüstungsprogramm in Höhe von etwa 400 Milliarden Dollar zu finanzieren.

Auf eine andere, sehr wichtige Weise hat Europa erkannt, dass China dank seines großen Einflusses auf Moskau möglicherweise als einziges Land in der Lage ist, die Auswirkungen der russischen Bedrohung abzuschwächen und vielleicht sogar den Krieg zu beenden.

Kurz gesagt, China ist für die EU heute wichtiger als je zuvor. Diese Bedeutung geht über die sehr große wirtschaftliche und kommerzielle Dimension hinaus und umfasst auch sicherheits- und geopolitische Aspekte.

Dies bedeutet nicht, dass es europäische Länder gibt, die ihre wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen immer noch an Washington verpfänden. Das betrifft insbesondere die osteuropäischen Länder, für die die russische Bedrohung eine existenzielle Gefahr darstellt.

Die derzeitige scharfe Spaltung Europas lässt jedoch darauf schließen, dass das Vertrauen der Europäer in Washington im Laufe der Zeit weiter schwinden wird. Auch die Länder Osteuropas werden angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und militärischen Verflechtung mit China immer weniger Vertrauen in Washington haben.

 

 

IIC Berlin